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Heute im Interview: Dr. Sarah Beyeler, Projektassistentin Forum für Universität und Gesellschaft, Universität Bern.

digitale Diät: Wie bist Du als Wissensarbeiterin von der Digitalisierung betroffen?
Sarah Beyeler: Sicher von der ständigen Ablenkung. Wissensarbeit ist ja davon geprägt, dass man längere Zeit an etwas arbeitet, zum Beispiel an einem Text, und dabei nicht abgelenkt werden möchte, zum Beispiel durch Mails. Gleichzeitig hilft die Digitalisierung. Es gibt zum Beispiel Programme, die helfen, Wissen zu verarbeiten oder zu bündeln.
Für meine Arbeit ist die Ablenkung eine Herausforderung, der ich mich stellen muss. Kürzlich hat mir eine Bekannte gesagt, dass sie gefühlte 500 Mal ihre Mailbox checkt, weil sie es nicht ertragen kann, wenn sich ihr Posteingang füllt und sie ihre Mails laufend abarbeiten will. Ich habe das früher auch so gehandhabt. Ich hatte den Anspruch, möglichst rasch zu antworten, um so Engagement und Motivation zu zeigen. Ich merkte aber, dass mich das ziemlich unter Druck setzte und mich vom vertieften Arbeiten abhielt. Daher gönne ich mir Mail-freie Zeiten, mittlerweile ohne schlechtes Gewissen.

Welche Strategien hast Du Dir angewöhnt?
Mein Handy liegt nicht auf dem Schreibtisch, sondern in meiner Tasche und ist auf lautlos gestellt. Mails checke ich morgens, mittags und nachmittags. Wenn das Programm offen ist, kriege ich keine Signale bei eintreffenden Mails. Meine Büronachbarin hat den Signalton zum Beispiel eingeschaltet. Ich höre das zwar, es stört mich aber nicht, weil ich weiss, das sind ihre Mails, die gehen mich nichts an. Mich stört es im Arbeitsprozess, wenn die Signale mir gelten. Dann schaue ich nach und verzettle mich. Verzettelung ist oft die Konsequenz, sobald ich mich ablenken lasse. Wenn ich mitten im Arbeitsprozess ein Mail beantworte, laufen schon zwei Dinge parallel. Das stört.

Wie gut gelingt es Dir, diese Strategien anzuwenden?
Nicht immer gleich gut. Es kommt auf mein Stresslevel oder auf anstehende Arbeiten an. Wenn eine Veranstaltung unmittelbar bevorsteht, bin ich dauernd erreichbar. Wenn dann zum Beispiel ein Referent krank ist und absagen muss, bin ich froh um jede Stunde, in der ich das früher weiss und reagieren kann.
Die digitalen Tools helfen mir hingegen extrem bei der Arbeitsorganisation – sei es nur schon, die Gliederung und Strukturierung meiner to do-Liste. Das finde ich genial und eine grossartige Unterstützung – vorausgesetzt, dass man jene Tools gefunden hat, die einem persönlich liegen und die zur Art der Arbeit passt. Das herauszufinden wiederum ist nicht ganz einfach, weil es so viele gibt.

Die Digitalisierung ermöglicht einen globalisierten Zugriff auf Wissensbestände. Welche Vor- und Nachteile siehst Du darin?
Ich finde es grundsätzlich gut, wenn der Zugang zu Wissen für möglichst viele offen ist. Aber, man muss damit umgehen können und wissen, wie was suchen und wie Brauchbares von Unbrauchbarem trennen. Mich überfordert die Fülle an Daten nicht mehr. Ich konnte mir durch meine Ausbildung an der Universität viel Routine im Umgang mit grossen Datenmengen aneignen und lernte vor allem, beim Recherchieren auch mal einen Schlussstrich zu ziehen.

Wie navigierst Du im Datendschungel?
Ich achte auf die Quellen, also darauf, wer welches Wissen verbreitet. So kann ich es einordnen und die Relevanz einschätzen. Ich filtere also aufgrund der Herkunft des Wissens, soweit ich es nachvollziehen kann. Ich gewichte beispielsweise Wissen, das von einer mir bekannten Institution verbreitet wird höher, als solches, das von irgendeiner Privatperson verbreitet wird. Es braucht manchmal auch etwas Zeit, bestimmte Daten zu überprüfen.

Wie wirkt sich die Digitalisierung auf Dein Leben aus?
Für mich überwiegen die positiven Effekte – weil sie meinem Lebensstil sehr entgegenkommen. Ich habe zum Beispiel eine kleine Wohnung und keine Lust auf herumstehende Bücher und CDs. Bei mir ist die Bibliothek für Musik und Bücher, TV sowie Kamera auf einem Gerät verfügbar. So brauche ich viele physische Gegenstände nicht. Das finde ich super.
Dann gibt es Aspekte, die ich vielleicht zu stark verdränge. Mit meinem Nutzungsverhalten generiere ich andauernd Daten. Manchmal frage ich mich, ob ich es mir zu leicht mache, wenn ich mir sage: I don’t care, ich habe nichts zu verbergen. Obwohl ich mit manchem nicht einverstanden bin, ist es mir zu anstrengend, die Konsequenz zu tragen und nachzuvollziehen, wohin meine Daten gehen, wenn ich eine bestimmte App benutze. Mein Schrittezähler – den ich super finde – schickt meine Daten nach Kalifornien. Klar finde ich das nicht toll, aber heisst das nun, dass ich diese App nicht mehr nutzen sollte? Ich stelle fest, dass mir das zu anstrengend ist. Trotzdem möchte ich nicht, dass die Krankenkasse plötzlich nachvollziehen kann, welchen Lebensstil ich pflege. Sowas untergräbt dann schon Werte, die mir eigentlich wichtig sind. Mir ist manchmal nicht ganz klar, inwiefern ich diese Tendenz beispielsweise durch die Nutzung meiner Gesundheitsapp mitmitbestimme. Das ist die Schattenseite, die ich sicher zu stark ausklammere. Auf der anderen Seite kommen die ganzen Sharing-Plattformen meinem persönlichen Werteverständnis wieder sehr entgegen – sei es beispielsweise eine App gegen Foodwaste oder ähnlich. Das finde ich super.

Gibt es Momente, in denen Du bewusst Offline bist?
Ja, aber noch zu wenig. In der Nacht bin ich offline. Zudem ist mein Nutzungsverhalten auch abhängig davon, ob ich mit meinem Partner zusammen bin oder nicht. Wir schreiben uns recht viel. Wenn ich mit ihm zusammen bin, bin ich eher offline. Was mir sehr schwerfällt ist, das Smartphone gar nicht dabei zu haben. Das finde ich recht bedenklich.

Was ist die Schwierigkeit?
Ich weiss nicht, ob es eine Gewohnheit ist, das Smartphone dabei zu haben. Es hängt sicher damit zusammen, dass ich eben auf dem Smartphone sehr viel zur Verfügung habe – meine Bücher, Podcasts, etc. Ich finde es schwierig zu sagen, wo die Grenze ist zwischen dem Nicht-Ohne-Sein-Können und der Tatsache, dass ich ein Buch oder eine Zeitung halt auf dem Smartphone statt auf Papier lese. Das erschwert es natürlich, mich von diesem Gerät zu distanzieren, weil ich das Gefühl habe, dass mir dann etwas fehlt.
Mich beschäftigt aber, wie sich die Gesellschaft verändert – gerade im Zusammenhang mit den Smartphones. Dass es fast nicht mehr geht ohne. Und ich glaube, dass vieles nicht in eine Gute Richtung läuft. Stichwort «citizen score» in China. Da wird eine Unmenge an Daten gesammelt zu deinem Verhalten als Bürger, was dann wieder Einfluss darauf hat, ob du zum Beispiel einen Kredit bekommst oder nicht. Das finde ich krass. Ich will gar nicht wissen, was man über mich alles wissen könnte. Ich tue mich schwer damit, diese Erkenntnis zu haben und mein Nutzungsverhalten trotzdem beizubehalten. Es erleichtert halt so viel, zum Beispiel meinen recht mobilen Lebensstil und meine Tendenz zum Minimalismus. Diese Janusköpfigkeit der Digitalisierung macht mich manchmal hilflos.