Skip to main content

Heute im Interview: Michael Lehner, Leiter Führungsentwicklung, SRF

digitale Diät: Wie sind Führungspersonen von der Digitalisierung betroffen?
Michael Lehner: Bei uns kommen viele Führungspersonen ursprünglich aus dem Journalismus. Einige haben noch die Zeit erlebt, in der ganz anders produziert wurde. Das heisst, sie mussten, wie viele ihrer Mitarbeitenden auch, erstmals eigene digitale Skills erwerben.
Nebst dieser persönlichen Auseinandersetzung kommt die Herausforderung hinzu, mit den Teams den «digital shift» zu bewältigen. Die Führungspersonen sind unter anderem dafür verantwortlich, ihre Teams zusammenzuhalten und eventuelle Distanzen zwischen «digital Natives» und klassischen «Broadcastern» zu überwinden.

Welche Strategien werden eingesetzt, um diese verschiedenen Arbeitskulturen zu vereinen?
Mit dem Versuch, gegenseitiges Verständnis aufzubauen. In Kursen bringen wir oft bewusst unterschiedliche Berufsfelder zusammen, damit auch ein direkter Austausch stattfinden kann. Die Feedbacks auf diese interdisziplinären Workshops zeigen, dass das Bedürfnis andere Arbeitsformen kennenzulernen gross ist.

Gibt es bei Euch Regeln bezüglich On-/Offline-Verhalten, zum Beispiel, bezüglich wer wem wann mailt und wann nicht?
Wir haben keine Vorgaben. Es ist somit im Ermessen der Führungspersonen, wie sie das in ihren Abteilungen umsetzen. Wir produzieren beispielsweise 24 Stunden News. Dies führt schnell zur allgemeinen Überzeugung, dass das On-/Offline Verhalten der Mitarbeitenden nicht einfach so regelbar ist.

Was ist Deine Meinung dazu?
Ich bin hin- und hergerissen. Es gibt sicher Berufsgruppen, die sich solche Regeln geben könnten. Ich weiss aber nicht, wie es dann für die Andern wäre, bei denen es eben nicht möglich ist. Eine übergeordnete Weisung oder Empfehlung einzuführen, wäre wahrscheinlich nicht zielführend. Ich finde es viel wichtiger, dass Führungspersonen sich ihrer Vorbildfunktion bewusst sind und aufhören, zu Unzeiten Mails zu versenden, Kontakt aufzunehmen oder Aufträge zu verteilen.

Gibt es eine Reflexion darüber, dass Führungspersonen diese Vorbildrolle zukommt?
Ja, dazu gibt es viel Reflexion. In Einzelcoachings wird das individuelle On-/Off-Verhalten zusammen mit den Coaches reflektiert, unter Berücksichtigung des beruflichen Alltags, in dem wir uns in unserem Geschäftsfeld bewegen. In Seminaren thematisieren wir den Umgang mit Stress, die Einteilung der Arbeitszeit, etc.

Euer beruflicher Alltag war ja schon früher stark geprägt von Schnelllebigkeit und kurzen Reaktionszeiten. Was hat sich durch die Digitalisierung verändert?
Die Reaktionszeiten werden tatsächlich immer kleiner, da der ganze Online-Bereich anders funktioniert. Die Zeitspanne zwischen Ereignis und Berichterstattung ist somit oft viel kürzer als früher. Doch auch bei Breaking News, wenn Ereignisse sich rasch entwickeln und verändern, stellen wir besonders hohe Ansprüche an Quellentransparenz und an zwei gleichlautende, voneinander unabhängige Quellen. Das bedeutet nicht selten viel Druck.

Diese durch die Digitalisierung noch geförderte Beschleunigung kann ja dazu führen, dass Menschen Mühe damit haben, abzuschalten. Wie geht ihr damit um?
Ich finde es sehr wichtig, alle darauf zu sensibilisieren, sich die Frage zu stellen «wann bin ich Online und wann gehe ich Offline?» – nicht nur in der Freizeit, sondern vor allem auch in den Ferien. Ich finde die Sensibilisierung der Führungspersonen wichtig und die damit verbundene Botschaft, dass sie verantwortlich sind für das On-/Offline-Verhalten ihrer Mitarbeitenden.

Wie reagieren Führungspersonen auf diese Sensibilisierung?
Mit sehr viel Verständnis. Die meisten finden es wichtig, dass ihre Mitarbeitenden auf die Trennung von On- und Offline-Zeiten achten. Die Vorgesetzten kommunizieren also zunehmend, dass sie keine Erwartung an dauernde Erreichbarkeit gegenüber ihren Mitarbeitenden haben. Für sich selber legen sie jedoch andere Massstäbe an, was die Erreichbarkeit betrifft. Viele sind immer online und erreichbar – sogar in den Ferien.

In vielen Unternehmen wird ja einerseits erwartet, dass sich Mitarbeitende und Führungspersonen abgrenzen können. Andererseits wird eine kurze Reaktionszeit oft verstanden als ein Zeichen von Engagement.
Ich glaube, dass ständige Erreichbarkeit noch viel zu stark verbunden wird mit der Auffassung, dass ich dadurch eine gute Führungsperson bin und das Vertrauen meiner Mitarbeitenden gewinne. Man müsste sich die Frage stellen: Welche Führungsperson ist besser – jene, die sich abgrenzen kann oder jene, die ständig verfügbar ist? Auf Dauer wahrscheinlich jene, die sich abgrenzen kann und somit auch ein besseres Vorbild für die Mitarbeitenden ist.

Ständige Verfügbarkeit bedeutet im Zeitalter des digitalen Wandels ja auch eine Fülle von Ablenkungsmöglichkeiten. Welche Strategien gibt es bei Euch, ablenkungsfreie Zeiten und Räume zu schaffen?
Wir versuchen, Zonen zu schaffen, in denen ungestört gearbeitet werden kann. Sobald ich mich in diese Zonen bewege, signalisiere ich, dass ich nicht unterbrochen werden will. Ausserhalb dieser Zonen gibt es die Störung permanent. Sie ist auch gewollt, weil dadurch Austausch stattfindet. In Workshops die wir zum Beispiel für Produzentinnen und Produzenten organisieren, ist ein Teil dem Erfahrungsaustausch bezüglich dieser erwarteten Verfügbarkeit gewidmet. Abgrenzungsstrategien sind beispielsweise Türhänger oder Postit-Zettel, auf denen steht: «Ich bin in einer Viertelstunde zurück».

Wie gut funktioniert das?
Das funktioniert gut. Ich höre zunehmend Aussagen, wie froh jemand ist, eine solche Strategie eingeführt zu haben.

Das klingt nach einem achtsamen Umgang.
Ja, je länger je mehr. Das Bewusstsein darüber, dass wir in einem Umfeld arbeiten, in dem wir die ganze Zeit gestört werden, ist gewachsen. Und damit verbunden die Feststellung, dass es dadurch schwierig ist, produktiv und im Flow zu arbeiten. Daraus haben sich Strategien für einen besseren Umgang mit Ablenkung entwickelt.

Wie sieht Dein persönliches On-/Offline-Verhalten aus?
Ich habe für mich persönlich verschiedene Regeln eingeführt. Eine relativ neue Regel zum Beispiel, die sich gut bewährt in den Ferien. Ich bearbeite dort jeden zweiten Tag eine halbe Stunde lang Mails. Nach einer halben Stunde schalte ich wieder aus. Der Hintergrund dieser Strategie ist, dass ich es einfacher finde, jeden zweiten Tag eine halbe Stunde zu investieren, anstatt nach den Ferien eine Mail-Flut vorzufinden, die bei mir ein schlechtes Gefühl erzeugt.
Eine andere Regel, die ich einzuhalten versuche, ist, dass ich nach 20 Uhr keine Mails mehr beantworte und am Morgen das Handy erst anschaue, sobald ich das Haus verlasse. Dadurch entstehen neue Freiräume. Ich starte viel gelassener in den Tag und habe das Gefühl, dass ich dadurch die mir wichtige Zeit am Morgen ausdehnen kann.