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Heute im Interview:  Sévérine Affolter, selbständig erwerbende Unternehmerin und Inhaberin eines Dienstleistungsunternehmens.

digitale Diät: Wie bist Du als selbständig erwerbende Unternehmerin von der Digitalisierung betroffen?
Sévérine Affolter: Bezüglich Erwartungshaltung hat sich meine Welt sowohl geschäftlich wie auch privat sehr verändert. Es wird erwartet, dass man ständig erreichbar ist. Für mich habe ich eine bewusste Entscheidung getroffen, dass ich diese Erwartung nicht erfüllen will. Ich will nicht gesteuert oder instrumentalisiert werden von den vorhandenen technischen Möglichkeiten.

Wie trennst Du Privat- und Berufsleben?
Grundsätzlich bin ich zu Bürozeiten für meine KundInnen erreichbar und gebe innerhalb von 4 Stunden eine Antwort mit der Information, in welcher Frist ich ein Anliegen bearbeite.

Siehst Du auch Vorteile in den modernen Kommunikationstechnologien für Deine Tätigkeit?
Ja, weil ich ein Dienstleistungsunternehmen betreibe, bin ich dadurch sicher flexibler. Ich kann zum Beispiel ein verlängertes Wochenende geniessen, innerhalb der Bürozeiten kurz meine Mails prüfen und bei dringenden Anliegen telefonisch reagieren. Das ist sicher ein Vorteil, den ich nutze. Und trotzdem wäre ich froh, wenn es Smartphones gar nicht gäbe, weil dieser Vorteil nicht überwiegt.

Sondern?
Ich habe das Gefühl, dass ich mein Nutzungsverhalten noch einigermassen steuern kann, dass jedoch mein Umfeld es oft nicht im Griff hat. Wenn ich zum Beispiel einen Kunden beim Mittagessen treffe, ist mein Handy weder hör- noch sichtbar. Es stört mich, wenn es bei den Andern nicht so ist. Ich finde das untergräbt die Wertschätzung in unserer Gesellschaft.

Kannst Du ein wenig näher beschreiben, wie sich die Digitalisierung Deiner Meinung nach auf zwischenmenschliche Beziehungen auswirkt?
Ich finde es sehr schade, dass der persönliche und direkte Kontakt verlorengeht. Nicht in dem Sinne, dass man einander nicht mehr sieht, sondern in dem Sinne, dass die Wertschätzung verlorengeht. Ich habe den Eindruck, als Gegenüber nicht mehr richtig wahrgenommen zu werden. Gerade gestern war ich überrascht, als mir eine gute Freundin eine Sprachnachricht schickte. Ich finde das furchtbar und interpretiere ihre Sprachnachricht so, dass sie nicht mit mir telefonieren will, also, dass sie Einwegkommunikation dem Dialog vorzieht.

Oder, wenn mir jemand von seinen Ferien erzählt und ich nachfrage, wie es war, kommt sofort das Handy hervor und ich muss mir die Bilder ansehen. Seit etwa einem halben Jahr sage ich dann einfach so zum Test: «Du kannst es mir auch gerne beschreiben». Das hat noch kein einziges Mal funktioniert. Oder kürzlich hat mir eine Mutter während eines Essens ein Video von ihrer Tochter gezeigt mit voller Lautstärke. Ich fand das unangenehm, aber für sie war das völlig normal.

Ebenso wenn in einem Gespräch eine Wissenslücke entsteht und alle sofort Google befragen, frage ich mich, was bringt uns das? Wir könnten uns ja auch erlauben, manchmal etwas nicht zu wissen und im Raum stehen zu lassen. Es stört mich, wenn jemand während eines Gesprächs sein Handy hervornimmt.

Gelingt es Dir, Dich abzugrenzen, dass Du diesem Gefühl nicht ausgesetzt bist?
Sehr beschränkt. Ich beobachte, dass sich meine Umgebung in diesem Punkt nicht reinreden lässt und sich gleichgültig zeigt. Was ich noch spannend finde, ist, dass sich vor allem die ältere Generation nicht beirren lassen. Sie telefonieren ungeniert während dem Essen obwohl sie uns früher beigebracht haben, am Tisch keine Zeitung zu lesen. Das finde ich sehr schade.

Manchmal schliesse ich mit mir selbst Wetten ab: Wenn ich mit jemandem im Restaurant bin und auf die Toilette gehe, bleibe ich kurz stehen und schaue zurück. 9 von 10 Personen zücken sofort ihre Handys. Der Mensch scheint nicht mehr fähig zu sein, einfach einmal dazusitzen. Das finde ich schade.

Was findest Du schade daran?
Ich finde es schade, dass man sich nicht mehr auf sein Gegenüber und auf sich selber einlässt. Dass man sich nicht mehr auf Langeweile einlässt, sondern sich mit Dauerbeschäftigung ablenkt. Ich habe den Eindruck, dass die Dauerberieselung nicht guttut und sich die Menschen dadurch verändern, dass sie immer auf Trab sind. Als Gegenüber finde ich es schade, dass ich nicht mehr die volle Aufmerksamkeit geschenkt bekomme. Ich fühle mich zweitrangig, wenn mein Gegenüber sein Handy bedient.

Du bist Expertin für Kommunikation. Worauf achtest Du, wenn Du moderne Kommunikationsmittel einsetzt?
Zum Beispiel auf die Emojis. Ich habe irgendwann festgestellt, dass die Emoji-Flut dazu führt, dass ich beginne, in Emojis zu denken. Ein gutes Beispiel ist das Äffchen, das die Hände vor die Augen hält oder das Verlegenheits-Emoji. Als ich das bemerkt habe, habe ich begonnen, Emojis nur noch sehr eingeschränkt zu nutzen. Ich bin auch bewusst nicht in vielen Chats, weil ich finde, dass trotz der vielen Nachrichten eigentlich immer das gleiche drinsteht, angereichert mit immer den gleichen Emojis.

Wie reagiert Dein Umfeld darauf?
Zum Teil fühlen sie sich vielleicht vor den Kopf gestossen, wenn ich keine Küsschen-Emojis versende. Ich finde es im Gegenzug irritierend, wenn mir jemand, den ich nicht genauer kenne, ein Herz oder Kuss-Emoji schickt. Für mich ist die Hemmschwelle diesbezüglich sehr tief angesetzt. Auch Social Media nutze ich bewusst nicht – eine Gratwanderung, da ich im Marketingbereich tätig bin.

Was ist der Grund, dass Du nicht auf Social Media bist?
Ich will nicht noch mehr Berieselung und es interessiert mich auch nicht. Wenn mir ein Mensch eine Anekdote aus den Ferien erzählt, interessiert mich das und ich höre gerne zu, nehme seine Erzählungsweise, den Gesichtsausdruck und die Gestik wahr. Wenn ich diesen Menschen nicht treffe oder nicht mit ihm telefoniere, muss ich es auch nicht wissen. Ich muss nicht alles wissen.

Was ist der Gewinn davon?
Ein Stück Freiheit. Weniger Druck und Stress. Wenn wir um 10 Uhr abends Mails beantworten um zu zeigen, dass wir dann noch arbeiten, verarschen wir uns selbst.